Früher hatten selbst kurze Meldungen noch echten Gehalt und Neuigkeitswert. Heute gehen Nachrichten gerne mal im permanenten Hintergrundrauschen der medial verbreiteten Informationsflut unter: zum Beispiel die Kunde über das Ende des Telegramms. Als einer der letzten Dienstleister weltweit hat die Deutsche Post den Service zum 31.12.2022 komplett eingestellt. Was allerdings kaum verwundert, fristete der Telegrammdienst schon seit vielen Jahren ein Dasein in einer äußerst kleinen Nische.
Doch das längentechnisch kurz angebundene Fernschreiben nimmt einen herausragenden Platz in der Geschichte der Nachrichtenübermittlung ein. Im späten 18. Jahrhundert erfunden und Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge des Eisenbahnbaus zur Reife gelangt, hat die Telegrafie die Art und Weise der Fernkommunikation fundamental verändert. Brauchten Ross und Reiter vorher Tage oder Wochen für die Überbringung einer Botschaft, waren es plötzlich nur noch Stunden oder Minuten. Die Welt rückte mit einem Mal erheblich zusammen, mit allen Vor- und Nachteilen. Plötzlich konnte Europa dank der neuen Unterseekabel mit der Neuen Welt nahezu in direkten Kontakt treten. Unternehmen schickten ihren Waren Eilmeldungen voraus und begannen auf völlig neue Weise zu wirtschaften. Aber auch Kriege wurden mit Hilfe der Telegrafie begonnen und geführt, zum Beispiel mit der Emser Depesche.
Telegramme wurden zum Dreh- und Angelpunkt der Informationsübermittlung. Ihre Inhalte konnten Berge versetzen, auch wenn sie meist nur aus wenigen Wörtern bestanden. Immerhin mussten die einzelnen Buchstaben bei der Übertragung mit dem von Samuel Morse entwickelten Code erst einmal übersetzt werden. Ebenso beim Empfangen. Viel mehr als zwei bis drei Wörter konnten selbst die schnellsten Telegrafisten nicht lesen oder schreiben. Demzufolge schlug sich der Aufwand auch in den Kosten nieder, so dass eine eigene, auf wenige Wörter reduzierte Textart entstand, der Telegrammstil. Zum Beispiel: „Ankunft Sonntag 10:00 Hauptbahnhof Berlin Abholung Oma“. Eine Art des Schreibens, die mit der SMS in nicht ganz so ausgeprägter Form eine Art Renaissance erfuhr. Auch wenn sich das Telegramm mit Hilfe des Fernschreibers weiterentwickelte, blieb dessen Länge auf 160 Zeichen beschränkt. Oder auf 480, sofern man bereit war, die Mehrkosten auszugeben. So verlangte die Deutsche Post zuletzt immerhin noch 12,57 Euro für die einfache Version.
Nun gehört das Telegramm endgültig ins Museum. Bei zuletzt 200 bis 300 pro Monat versendeten Depeschen in Deutschland bestand schlichtweg keine Nachfrage mehr. Selbiges könnte man auch über die SMS denken. Bei einer Beschränkung auf ebenfalls 160 Zeichen drängt sich in Zeiten von WhatsApp und anderer Messenger die Frage nach dem Nutzen auf. Doch die Kurzmitteilung erweist sich als erstaunlich wandlungsfähig. Als digitales Telegramm zieht sie auch heute noch die Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Inhalte haben für den Empfänger einen hohen Wert und übertönen in der Regel das mediale Hintergrundrauschen. Doch im Gegensatz zum Telegramm findet die SMS auch in neuen Bereichen Anwendung, etwa bei der Zwei-Faktor-Authentifizierung. Es wird also noch eine Weile dauern, bis die SMS dem Telegramm folgen und in Rente gehen darf.